Grußwort des Präsidenten


Eine Universität ist zur Welt gekommen

tokes laszloIm Jahreswechsel 1989/90 wendete sich nicht nur das „Rad der Zeit“; das uns begrüßende neue Jahr schien auch unser Schicksal als Minderheit zum Besseren zu wenden. Der Erlösung unseres Herrn gewahr, „ward unser Mund voll Lachens“, und wir frohlockten:
„Der Herr hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich.“ (Psalm 126,2-3) Nach der langen Zeit in Fesseln, die uns zur Untätigkeit und Ohnmacht verdammt hat, brach endlich die Zeit an, die es uns ermöglichte, das „Feld des Handelns“ zu betreten und die Arbeit aufzunehmen.

Jahrzehntelang war unser Leben durch dasselbe erdrückende Verlusterlebnis geprägt, das vom – um die Geschicke der Menschheit besorgten – Lyriker Mihály Vörösmarty folgendermaßen beschrieben wird: „Die Saat der Menschen ist zunichte“. Wir haben das uns zugeteilte bittere Brot der gesellschaftlichen Gefangenschaft gegessen. Die atheistische Diktatur bewirkte, dass sogar das „Brot des Lebens“ in unseren Mündern einen bitteren Nachgeschmack aufwies. Da aber verstanden und fühlten wir, worin genau die Dialektik der göttlichen Erlösung besteht, so dass wir gemeinsam mit dem Psalmisten verkündeten:

„Die mit Tränen säen – mit Jubel werden sie ernten.
Da gehen sie, sie gehen und weinen
und tragen den Beutel zum Säen.
Da kommen sie, sie kommen mit Jubel
und tragen ihre Garben.” (Psalm 126, 5-6)

Nach dem Sturz der Ceauşescu-Diktatur kamen – am Anfang der Wende – die ursprünglich-sten und elementarsten Daseinserfahrungen unserer einstigen Vorfahren, die sich als Acker-bauern jeglichen Widrigkeiten von Mensch und Natur ausgesetzt sahen, erneut zur Geltung. Wie oft sahen sie ihre Ernte durch Eishagel zerstört! Unzählige Male mussten sie zusehen, wie die Zeiten der Dürre die Früchte ihrer Arbeit zunichte machten! Wie oft wurde die Saat ihres Lebens von fremden Heerscharen dem Erdboden gleichgemacht! Doch dann zogen die Gewitterwolken ab, ertragreiche Ernten bringende, segenreiche Regen- fälle wandelten Einöden in fruchtbares Ackerland um und auch die Tod und Zerstörung bringenden Heerscharen zerstreuten sich. Unsere Vorfahren aber nahmen die Arbeit von Neuem auf; sie säten und ernteten voller Hoffnung und ihre Ausdauer ward durch Segen gekrönt.

Das für alle Ewigkeit geltende Gesetz des Lebens ist der Neubeginn. Dies war schon zu Zeiten der Sintflut nicht anders. Als die Unwetter vorbeizogen, erschien am Himmel der von der Gnade Gottes zeugende Regenbogen, der uns für alle Ewigkeit verheißt:

„Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (1. Buch Mose 8, 22)

Der schicksalsträchtige Winter von 1989 schenkte uns eine Dämmerung, in der Saat und Ernte erneut ihre Bedeutung wiedererlangt haben. Nach sieben mal sieben „mageren Jahren“ brach für uns eine Zeit voller Gnade an, deren Nichterkennung eine Sünde gewesen wäre. Zu dieser Zeit – vor 15 Jahren – haben wir die Gelegenheit ergriffen. Unser - in „Oradea“ umbenanntes - reformiertes Bistum vom Königsteig hat seine ursprüngliche Identität wiedererlangt und konnte sich zu seinen theologisch-historischen Wurzeln bekennen, womit es erneut zu seiner Bestimmung gefunden hat. Einen Niederschlag fand diese Berufung unter anderem in der Gründung der Reformierten Hochschule „István Sulyok”.

Hier ist nicht der Ort, um auf die spezifisch internen Aspekte der Erneuerung unserer Reformierten Kirche vom Königsteig eingehen zu können. Hierzu wird sich dieses Jahr während der Festakte anlässlich des 85. Jubiläums der Gründung sowie des 15. Jubiläums der Neugründung unseres Reformierten Bistums vom Königsteig genug Gelegenheit bieten. Heute würdigen wir aber auch einen weiteren bedeutsamen Jahrestag: das 15. Jubiläum der Gründung unserer Reformierten Universität. In diesem Zusammenhang reicht es deshalb aus, wenn wir uns darauf beschränken, zu welchen Aufgaben sich unser neu organisiertes Reformiertes Bistum vom Königstieg im Bereich der kirchlichen und ungarischsprachigen Hochschullehre verpflichtet hat.

Mit der Gründung der Reformierten Hochschule István Sulyok konnten Traditionen unseres Bistums fortgesetzt werden, die stets die Verpflichtung zur Bewahrung der nationalen Identität und den Dienst an der Gemeinschaft zum Ziel hatten. Für die Ungarn Siebenbürgens, die als Minderheit dem national-kommunistischen Regime Rumäniens ausgeliefert waren und ihres geistigen und materiellen Hab und Gutes beraubt wurden, war eine Unterstützung auf seelsorgerischer und institutioneller Ebene von existentieller Bedeutung.

Einen derartigen Dienst an der Gemeinschaft konnte – infolge der jahrzehntelangen, „fachgemäß“ und mit äußerster Präzision ausgeführten Politik des Abbaus, die sich u. a. in der systematischen Zerstörung der jahrhundertealten Bildungs-, Kultur- und Sozial-einrichtungen der ungarischen Minderheit manifestierte, allein von den kirchlichen Institutionen geleistet werden, denen die historischen Konfessionen der Ungarn Sieben-bürgens (Kalvinisten, Katholiken, Lutheraner und Unitarier) angehörten.
Diese ungarischen Kirchen haben die Zeiten der totalitären Diktatur relativ intakt und unter Bewahrung ihrer Integrität überstanden - auch wenn der von diesem System betriebene Angriff auf die Kirchen der nationalen Minderheiten nicht spurlos an ihnen vorübergegangen war.

Zum oben erwähnten, erhabenen Dienst an der Gemeinschaft fühlte sich unser Bistum schon allein wegen seiner Schlüsselrolle bei der rumänischen Wende berufen. Es reicht, wenn wir hierbei die Stadt Temeswar, den Ort des Ausbruchs der 1989er Dezemberrevolution nennen, die den Sturz des diktatorischen Ceauşescu-Regimes verursacht hat. Die Stadt Temeswar ist hierbei zum Begriff des brüderlichen Zusammenhaltes dreier Nationalitäten (Ungarn, Rumänen, Deutsche) während der Revolution geworden.

Diese Tradition des gerechten Kampfes und des Widerstandes möchte unser Bistum nun - unter veränderten Bedingungen - fortsetzen, indem es sich in den Dienst der schöpferischen Arbeit und des Selbstaufbaus stellt. Gerechter Kampf und schöpferischer Aufbau schließen sich dabei nicht gegenseitig aus, sondern erfolgen zur selben Zeit, wie uns auch aus vielen biblischen und prophetischen Bildern deutlich wird. Die vergangenen 15 Jahre vergingen im Dienste dieser zweifachen Aufgabe.

Die Schatten der Vergangenheit haben jedoch auch diese Zeitspanne geprägt. Die gesegnete Ruhe der friedlichen und kampflosen Schöpfung ward uns nicht gegeben. Bei der Verwirklichung des Neuaufbaues unserer Institutionen konnten wir uns von den Bürden, die uns der politische Kampf um unsere Minderheitenrechte auferlegt hatte, in keinem einzigen Augenblick befreien. Unsere Gegner, Verleumder und uns Übelwollende waren uns ständig auf den Fersen und gefährden die Existenz unserer jungen Universität Partium, die das Erbe der Reformierten Hochschule István Sulyok angetreten hat, bis zum heutigen Tage.

Im biblischen Sinne sind wir bis zum heutigen Tage „die Kleinen“ und „die reichen Armen“ Jesu Christi geblieben. Trotz der uns von der Republik Ungarn gewährten, relativen materiellen Sicherheit, müssen wir auch den Kampf um die bloße Beibehaltung unserer nackten Existenz von Tag zu Tag immer wieder neu aufnehmen. Die seit dem Sturz der Ceauşescu-Diktatur vergangenen 15 Jahre waren nicht lang genug, um einen raschen und grundlegenden Wandel Rumäniens zu einem pluralistischen, demokratischen Staat zu erreichen.

Die Existenz und Zukunft unserer unter widrigsten Umständen gegründeten Universität ist in Ermangelung einer wahren Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beziehungsweise einer nationalen Gleichberechtigung und vollständigen Religionsfreiheit sowie aufgrund der Knappheit an menschlichen Ressourcen und materiellen Möglichkeiten auch weiterhin gefährdet.

Dessen ungeachtet haben wir allen Grund zur Danksagung vor unserem Herrgott, der uns bis-lang stets beigestanden hat. Inmitten von Zweifel und Hoffnung, menschlicher Schwäche und übermenschlicher Kraftanstrengung, wichtigen Teilsiegen und erdrückenden Niederlagen ist es uns Schritt für Schritt gelungen, auf unserem beschwerlichen Weg weiter voranzuschreiten und unsere Gemeinschaft sowohl in psychischer, geistiger und materieller Hinsicht als auch im fachlichen, institutionellen und infrastrukturellen Bereich zu stärken. In Bezug auf das zukünftige Europa der Regionen ist die Christliche Universität Partium Zeichen und Symbol zugleich: das verheißungsvolle Versprechen eines erhofften Aufschwunges und einer aussichtsreichen Zukunft unserer Partiumer Region, die zu ihren Wurzeln zurückfindet und in einer neuzeitlichen Renaissance wieder erblüht.

Wenn wir anlässlich des 15. Jubiläums der Gründung unserer Universität auf den hinter uns liegenden steinigen Weg mit all seinen unüberwindlich scheinenden Hindernissen zurück-blicken, stellt sich uns unvermeidlich die Frage: Welche Lehre lässt sich aus diesen Erfah-rungen ziehen?
Das eingangs erwähnte metaphorische Beispiel des Ackerbauers lässt sich durch die viel-sagende biblische Parabel der gebärenden Frau ergänzen:

„Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Qual um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.“ (Johannes-Evangelium 16, 21)

Dasselbe empfinden und erfahren auch wir. Die Freude und Liebe der Mutter gegenüber ihrem neugeborenen, später langsam heranwachsenden Kind lässt sie die Qualen der Geburt, ihre Entbehrungen und Bürden bei der Erziehung vergessen. Die Freude unserer Universität ist herangewachsen und hat mittlerweile ein jugendliches Alter erreicht: der daraus resultie-rende Nutzen und Standortvorteil der Ungarn des Partiums und Siebenbürgens sowie der Fortschritt unserer, sich in der Wissensgesellschaft etablierenden Jugend entschädigen uns reichhaltig für all unsere Entbehrungen und Bemühungen.

„Ein Mensch ist zur Welt gekommen“, sagt Jesus zu seinen Jüngern. In Großwardein ist eine Universität zur Welt gekommen – sagen wir, die Worte Jesu umformulierend, und bitten ihn, uns vor dem Bösen zu beschützen. Möge er unsere junge „Alma Mater“ erhalten und unsere Jugend, die Hoffnung unserer Gemeinschaft segnen!

László Tőkés
Bischof der Reformierten Kirche vom Königsteig